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Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus! Wirklich?

Aktualisiert: 28. Feb. 2021

Selber Schuld! Wer sich im Ton vergreift und einfach nur unhöflich ist, muss sich nicht wundern, wenn sein Gegenüber im selben Ton zurück ruft. Nur, ist die so vermeintlich verständliche Reaktion nicht einfach auch nur ein wachgeküsstes Muster, das ebenso automatisch bei uns abläuft wie jenes des ungehobelten Waldrufers? Wie wäre es, unser Herz trotz verbaler Verfehlungen unseres Gegenübers offen zu halten?


Ein Beispiel aus meiner Berufspraxis, das in derselben Art wohl jeder mehr oder weniger schon erlebt hat: Es ruft jemand Unbekanntes an und legt sogleich mit einem Sprechtempo los, das an Schnelligkeit kaum zu überbieten ist. Die Person lässt keinerlei Raum, dass ich mir erst mal ein Bild zu machen kann oder um mich zu orientieren - mit wem habe ich es denn da zu tun? Vorsichtiges Nachfragen scheinen die Person noch mehr anzustacheln. Mir bleibt eigentlich nur verstummt zuzuhören und auf eine Atem- oder Sprechpause zu warten.

In diesem Redeschwall kann ich langsam erahnen um was es geht. Die Person will alle Informationen von mir, und zwar sofort und ohne Umschweife. Als sie zu hören bekommt, dass ich ihr das nicht geben kann was sie verlangt, reagiert sie schon fast pikiert bis beleidigt. Bei einem vorsichtigen Versuch auch an diesem Monolog teilhaben zu wollen, fällt die Person sofort ins Wort und hat was Belehrendes an sich. Das Pulver scheint noch nicht verschossen zu sein. Sie lässt mich ungefragt wissen, wie gut sie ausgebildet ist, was sie schon alles erreicht hat und an ihre Leistungen kaum ein anderer anknüpfen kann und es deswegen in der Vergangenheit Probleme bei Arbeitgebern gab. Sie erwähnt beiläufig Namen und Institutionen wie ein Datenabgleich, um zu bewerten, wer was taugt und wer nicht.


Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus?

Wer kennt nicht auch so eine ähnliche Situation aus seinem Leben? Eine erste Reaktion könnte sein, Grenzen zu setzen, den Anrufenden vehement zurechtzuweisen oder einfach aufzulegen oder zu versuchen gegen sie anzureden oder in die Verteidigung zu gehen.


In was für einer Energie muss dieser Mensch sein? Was treibt einen an, so unempathisch, unhöflich und fordernd zu sein? In was für einem Zustand ist jemand, wenn er so um seine Wahrnehmung und Bedürfnisse kämpft? Wie nimmt diese Person die Bedürfnisse des Gegenübers wahr? Wo spürt die Person Grenzen, ihre eigenen und die des anderen? Was in ihr bringt sie in den Angriffmodus?


Mit diesen Gedanken versuchte ich freundlich zu bleiben, meiner Stimme etwas Beruhigendes mitschwingen zu lassen und meine Sätze kurz und verständnisvoll rüberzubringen. Innerlich war ich ruhig, aufmerksam und offen. In erster Linie gelang mir das so gut, weil ich gerade die nötige Zeit hatte und eine Ahnung bekam, mit welchen Anteilen ich es hier zu tun bekam.


Wenn ein Mensch nicht erfahren hat, dass seine eigenen Grenzen gewahrt wurden, dann kann er auch kein gutes Gefühl entwickeln, die Grenzen andere zu wahren.

Wenn jemand erfahren hat, dass seine Werte oder Wertvorstellung nicht richtig sind und sich nicht auf einen klärenden Ausstauch eingelassen wurde, dann bleibt häufig nur das Gefühl es nicht Wert zu sein oder des Alleinseins mit seinen Vorstellungen. Jeder Mensch ist von klein an bestrebt Anerkennung und Liebe zu bekommen. Das ist eine Energie, von der sich wohl keiner vollkommen loslösen kann.


Noch mehr Leistung, ergo noch mehr Anerkennung?

Wenn jemand in seinem Leben die Erfahrung gemacht hat, nur gesehen zu werden und Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn er dieses oder jenes leistet, dann wirkt das im späteren Leben manchmal wie eine Droge. Es ist nie genug davon da. Was macht das mit dem Eigen- und Fremdbild? Entsteht dann nicht zwangsläufig ein Beziehungsbild, was auf Leistung ausgerichtet ist? Wo haben da noch eigene Bedürfnisse Platz, die weder sicht- noch messbar sind und sich anders ausdrücken möchten, z. B. in Musik, Tanz und Kreativität? Wie tolerant bin ich dann den Bedürfnissen der anderen Person gegenüber? Der Mensch wird zur Sache. Es wird nur noch geguckt, von wem kann ich was bekommen, um mein Ziel zu erreichen. Jegliches Nein oder Absage wird wie ein Scheitern empfunden. Die Endtäuschtheit wird an dem Gegenüber oder dem Nachrichtenüberbringer ausgelassen. Oder aber es folgt noch ein kurzes Abchecken, wie gross die Chancen sind den anderen doch noch zu überreden oder zu manipulieren. Ist das abgeklärt, folgt häufig der Kontaktabbruch oder das maximale Desinteresse, bis man den anderen wieder mal braucht.


Was, wenn wir mal anders reagieren?

Was, wenn wir nicht gleich in eine Art Verurteilung oder Gegenwehr verfallen? Was, wenn man die Dynamiken, der gemachten Erfahrungen erkennt und mit einer mitfühlenden Präsenz in Kontakt bleibt? Was, wenn man dann automatisch eine Ausstrahlung hat von: ich sehe dich, ich bin immer noch da!

Welche Anteile zeigen sich da? Sie werden es vermutlich schon ahnen. Das sind die ersten, beziehungsweise die prägendsten Bindungserfahrungen, die diese Person aus meinem Beispiel gemacht hat. Sie hat durch ihr Verhalten gezeigt, wie wenig sie selbst von sich hält und wie wenig sie in dem Gefühl für sich selbst ist. Können sie sich vorstellen, wie anstrengend es sein muss immer auf der Hut zu sein, um sichtbar zu bleiben?


In dieser Situation hat sich gezeigt, dass es für die Person einen besänftigen Einfluss hat, wenn man selbst ruhig und besonnen bleibt. Ist der erste Redeschwall erst einmal vorüber und wurde nicht unterbrochen oder kommentiert, gibt es schon mal eine Gelegenheit einfach nur eine Bestätigung zu geben, dass das Gesagte eben angekommen ist. Es gibt hier weder Energien der Ablehnung, Bewertung oder Gegendruck. Die Person kann also ihre inneren Geschütze runterfahren und sich langsam entspannen. Wenn man das spürt, dann darf man klar und freundlich seine Rückmeldung geben. Hier ist es aus meiner Erfahrung ganz wichtig, keine neuen Themen anzuschneiden, sondern das Gesagte eher immer wieder freundlich wiederholen.

Erst wenn eine Basis von Vertrauen geschaffen ist, man vielleicht schon länger mit der Person zu tun hat, ist ein vorsichtige Spiegeln der Anteile angebracht. Diese Menschen haben oft ein solches Misstrauen auf Grund ihrer Erfahrungen in der Prägephasen, dass jeglicher Druck, Bewertung oder unsensibles Verhalten wieder eine Bestätigung des Erlebten ist und zum Triggern alter Mustern führen kann.


Wenn also beim nächsten Mal sie jemand anblafft, sich ihnen gegenüber im Ton vergreift oder einfach nur unhöflich ist, halten sie kurz inne und spüren mal bei sich nach, was ihre Reaktion ist.

Beobachten sie mal, was es gerade in ihnen denkt, welche Muster bei ihnen wachgeküsst werden und machen sie sich bewusst, ihr Gegenüber ist nur ein Impulsgeber für was Altes, was schon viel früher in ihnen angelegt wurde.


Erkennen sie in dem Waldrufer, welche innere Not hier unbewusst zum Ausdruck kommt?

Lassen sie sich nicht zum Resonanzobjekt machen, sondern kümmern sie sich liebevoll um ihre versehrten Anteile, die da vielleicht gerade berührt werden. Bleiben sie in der aufmerksamen Wahrnehmung bei sich.

Die Mutigen können mal versuchen, dass Herz trotz der verbalen Verfehlung für den anderen offen zu halten und die verletzte Seele dahinter zu sehen.

Entscheiden sie, ob sie Waldrufer oder Echo sein wollen.

Ob sie als Resonanzobjekt dienen oder als der frische Duft des Waldes klärend sein wollen. Viel Spass beim Ausprobieren und Erfahrungen machen.

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