Das Loslassen von Lebensabschnitten ist für jeden nicht leicht. Es sind verschiedene Phasen die durchlebt werden. Jede einzelne birgt Ängste und auch Chancen. Sehen wir das Glas halbvoll oder halbleer. Das allein hängt von unserer Einstellung und Prägung ab. Keiner kann sich dem Veränderungsprozess entziehen oder diesen überspringen - und doch hadern viele damit
Der letzte Arbeitstag nähert sich, ein Nachfolger/in wurde auch schon ernannt und die Betriebsamkeit findet in der Übergabezeit immer mehr an einem vorbei statt.
Was kommt, wenn die Lebensaufgabe/der Lebensinhalt endet und Leere Raum zu bekommen droht?
Tagein, tagaus war man das Zugpferd, das Gesicht einer Abteilung oder Unternehmung, hat an der Front gekämpft, sich eingesetzt und stark gemacht, musste Kompromisse eingehen oder auch mal Krisenzeiten, wie ein Kapitän auf dem Schiff, durchstehen.
Familie, Hobbys oder Interessen standen oft ein ganzes Berufsleben lang hintenan, was wie selbstverständlich vom privaten Umfeld immer toleriert wurde. Nun aber fällt diese Aufgabe weg. Man wird nicht mehr einbezogen oder um Rat gefragt, weil jetzt neue, jüngere Kollegen das Zepter übernommen haben.
Diese Lebensphase, ob bei der Pensionierung oder bei anderen tiefgreifenden Veränderungen ähneln den 5 (Sterbe-)Phasen von Frau Dr. Kübler-Ross:
Nicht wahrhaben wollen
Zorn
Verhandeln
Depression
Zustimmen.
Ich persönlich finde, es hat da eine 6. Phase verdient: Die DANKBARKEIT.
1. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen kann sich dahinter verbergen, dass man bis zum letzten Tag unbeirrt und pflichterfüllt im Betrieb ist.
Gedanken, über die viele Freizeit und die Möglichkeiten werden verdrängt oder auf später vertagt, vielleicht auch die klärende Auseinandersetzung mit dem Partner/die Partnerin, die schon zu lange vor sich hingeschoben wurde. Jegliches Gespräch von Kollegen/innen, wenn es um die bevorstehende Pensionierung geht, wird mit einer Handbewegung vom Tisch gefegt um sich wieder dem Tagesgeschehen zu widmen.
2. Ein Gefühl von Zorn oder Unzufriedenheit
Wenn der oder die Neue anfängt altbewährtes verändern zu wollen, sich ungefragt in den Vordergrund drängt oder einfach klar macht, jetzt bin ich hier der neue Chef/ Chefin und deine Tage sind gezählt, berichten einige ehrlich wie sehr sie das nervt, aufbringt und das Gefühl von aussortiert zu werden hochholt. Man versucht offen oder verdeckt seine Vorschriften oder Regeln zu verteidigen oder vehement mit Studien oder anderer Fakten zu untermauern.
3. Das Verhandeln
Vielleicht gibt es ja doch noch die Möglichkeit die Pensionierung hinauszuzögern, weil man ja noch fit und kein bisschen gebrechlich ist. Oder soll man vielleicht doch noch mal was Neues anfangen? Eine eigene Praxis oder eine Selbständigkeit als Berater? Wäre es nicht schade, den grossen Erfahrungsschatz ungenutzt zu lassen? Vielleicht kann man sich auch noch mit Gleichgesinnten zusammentun und sein Wissen und Erfahrung für die «Frischlinge» zur Verfügung stellen. Geld oder der Verdienst spielt dabei kaum eine Rolle, Hauptsache man wird nicht ausrangiert.
4. Die depressive Phase
Nach einer anfänglichen Hochphase geprägt von Freude auf Neues, viel Freizeit und Freiheit, kehrt Ruhe ein. Zeit und Raum zum Nachdenken entstehen, drängende Fragen stelle sich:
War es das jetzt? Was kommt nun?
Das Haus ist abbezahlt, die Kinder sind unabhängig, Geld ist meist genügend vorhanden. Vielleicht macht sich eine Ideenlosigkeit breit, vielleicht schleicht sich der Wunsch nach Zurückgezogenheit ein oder man realisiert, dass man all die Jahre keine Zeit für die Pflege und Förderung von Freundschaften oder Hobbys investiert hat. Ist es jetzt nicht zu spät dafür?
5. Die Zustimmung oder das Abfinden
Das ist die schönste Phase. Der innerliche Druckmacher kann sich nun ausruhen und man erkennt die vielen, bislang ungeahnten Möglichkeiten, die sich noch bieten. Nicht mehr getrieben sein, dafür mit mehr Verständnis für seine Mitmenschen und dem Wissen, dass alle früher oder später auch hierhin kommen, wenn sie es überhaupt erleben können.
Dies ist die Phase der Erkenntnis, dass Arbeiten und Erfolg zu haben nicht alles im Leben sind, dass es vielmehr die kleinen, unspektakulären Momente sind, die das Leben so einzigartig und kostbar machen.
6. Dankbarkeit
Dankbar zu sein, für die eigene Gesundheit, für das Lebenswerk, für all die tollen Chancen, dankbar zu sein, ein lebendiges soziales Umfeld zu haben und dankbar zu sein für diese geschenkte Zeit mit allen Möglichkeiten, um langersehnte Träume zu erfüllen, kommt in der sechsten Phase. Vielleicht kann man dann ganz unaufdringlich seine Weisheit und sein Wissen weitergeben und akzeptieren, wenn auch einmal keiner aktiv danach fragt. Vielleicht begegnet man seinem Partner/Partnerin wieder völlig neu, lernt Facetten kennen und lieben, die man vorher gar nicht gesehen hat oder fängt an sich wieder seiner Herkunftsfamilie zu widmen. Fragen, wie war es damals bei meinen Eltern? Haben die sich genauso gefühlt? Wie habe ich sie wahrgenommen? Hatten die auch Ängste gehabt als sie berentet wurden oder ihren geliebten Job aufgeben mussten?
Jetzt mal Hand aufs Herz, wer kennt diese Phasen des Loslassens nicht? Da müssen wir nicht erst auf unsere Pensionierung warten.
Das Loslassen von herausfordernden und ereignisreichen Lebensphasen fällt wohl den wenigsten leicht.
Es ist ein Prozess, dem wir uns nur durch liebevolle Zuwendung zu uns selbst, erleichtern können. Viele haben im Lauf des Lebens nie die Zeit oder Möglichkeit gehabt, die Fragen zu erforschen: Was will ich eigentlich? Was macht mir Spass? Was wollte ich schon immer mal lernen oder erkunden? Mit welchen Menschen umgebe ich mich? Ist dabei das Geben und Nehmen ausgewogen? Wie viel Gefühl hat in meinem Leben Platz und darf ich dieses auch zeigen und zum Ausdruck bringen?
Alle diejenigen, die sich in diesem manchmal beängstigenden, zuweilen nervenaufreibenden, aber auch spannenden und lebendigen neuen Abschnitt befinden, möchte ich von Herzen einladen, sich auf die wunderbare Reise zu sich selbst zu machen. Mit kindlichen Augen die Welt und die neue Zeit zu entdecken, sich auszuprobieren und das Leben in seiner ganzen Fülle zu erfahren.
Den Reichtum in sich selbst zu entdecken, kann ein ganzes Leben dauern. Das Alter spielt da keine Rolle und es ist nie zu spät damit anzufangen.
Ihre Melanie Pomplun
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